Digitale Nomaden

Von Christof Berg­er

Von Christof Berg­er

Unter­wegs, aber auf dem Boden der Real­ität angekom­men
Es gibt sie noch, die Bilder von den Pal­men und Meer­essträn­den. Und die Reise­berichte der Paare, die sich on the Road mit­tels Tablet und unter­schiedlich guter Inter­netverbindun­gen die Einkün­fte zur Erre­ichung ihres näch­sten Etap­pen­ziels erschreiben. Aber die Def­i­n­i­tion der dig­i­tal­en Nomaden ist einiges bre­it­er gewor­den. Inzwis­chen gehört das Reisen oder das Arbeit­en in fer­nen Län­dern nicht mehr zwin­gend zum Selb­stver­ständ­nis der über hun­dert Frauen und Män­ner, die sich für den zweit­en nationalen Kongress der dig­i­tal­en Nomaden Anfang Novem­ber 2019 in Bern angemeldet hat­ten. Inzwis­chen fühlen sich auch Men­schen, die reine Home-Office-Arbeit­splätze betreiben, der neuen Beruf­s­gat­tung zuge­hörig. Oder solche, die zwis­chen ein­er Woh­nung in einem urba­nen Zen­trum und ein­er Depen­dance in den Bergen pen­deln. Und während am ersten Kongress ein Jahr zuvor noch vor allem die Möglichkeit­en und Vorteile der ort­sun­ab­hängi­gen Arbeitsweise im Vorder­grund ges­tanden hat­ten, kamen nun ver­mehrt die Hür­den und Prob­leme zur Sprache, die mit dieser Arbeitsweise zu über­winden sind.

Tück­en der Remote-Arbeit
Die Prob­leme begin­nen bere­its beim Home-Office. Wenn eine junge Mut­ter beispiel­sweise einen Blog betreiben und gle­ichzeit­ig ihr Kind betreuen will, und dann merkt, dass dieses ungeteilte Aufmerk­samkeit erheis­cht und sie ihre Texte nur abends schreiben kann, wenn der Sprössling (hof­fentlich) schläft. Schnell stellt sich die Frage nach den Einkün­ften: Grund­sät­zlich lässt sich fes­thal­ten, dass Schreiben kein son­der­lich lukra­tives Geschäft ist und man höhere Hon­o­rare in der Regel nur erzielt, wenn man für sich eine spez­i­fis­che the­ma­tis­che Nis­che find­et.

Inkom­pat­i­ble Rechtssys­teme
Wer an unter­schiedlichen Orten in der Schweiz arbeit­et, dürfte nicht vor unüber­wind­baren Prob­le­men ste­hen. Allen­falls muss die Frage beant­wortet wer­den, in welchem Kan­ton denn die Steuerpflicht anfällt. Genau das ist aber schwierig zu lösen, wenn sich der Arbeit­sort im Aus­land befind­et und dazu vielle­icht noch ständig wech­selt. Die meis­ten Rechtssys­teme sehen eine nomadis­che Lebensweise schlicht nicht vor. Sind die Einkün­fte, die ich während ein­er Wel­treise erziele, in den jew­eili­gen Län­dern zu ver­s­teuern? Wie und wo sichere ich meine Krankenkasse und die Altersvor­sorge? Sehr oft ist die kor­rek­te Anmel­dung an einem Arbeit­sort im Aus­land schon darum erschw­ert oder nicht möglich, weil sich die ver­schiede­nen Rechtssys­teme gegen­seit­ig in die Quere kom­men und sich Beamte nur sel­ten zu prag­ma­tis­chen gren­züber­schre­i­t­en­den Lösun­gen durchrin­gen kön­nen. Viele dig­i­tale Nomaden bewe­gen sich daher per­ma­nent in ein­er Grau­zone der Halb- bis Ille­gal­ität.


Die oft triste Real­ität der Cowork­ing-Spaces

Arbeit­en kann man mit seinem trag­baren dig­i­tal­en Equip­ment fast über­all; in Zügen, auf Schif­f­en, in Restau­rants… Oder in den Cowork­ing-Spaces, die es inzwis­chen prak­tisch über­all auf der Welt gibt. Ursprünglich erhoffte man sich von diesen tem­porären Arbeit­splätzen auch einen Aus­tausch von Erfahrun­gen und Know-how. Die Real­ität ist allerd­ings pro­fan­er. Oft sitzen die Men­schen stumm vor ihren Bild­schir­men, und wenn sie ihre Arbeit erledigt haben, ver­schwinden sie von der Bild­fläche. Viele dig­i­tale Nomaden kla­gen auf­grund solch­er Erfahrun­gen über Ein­samkeit. Um dieser Tristesse etwas ent­ge­gen zu set­zen, gibt es inzwis­chen diverse Col­iv­ing-Spaces. Eines davon, Swiss­escape, stell­ten in einem Work­shop die bei­den Grün­der Fan­ny Caloz und Haz Mem­on vor. Swiss­escape ist eine Chale­tan­lage in Gri­mentz im den Wal­lis­er Alpen, wo neben Arbeit­splätzen auch Aktiv­itäten wie Work­shops und gemein­same Aus­flüge ange­boten wer­den.

Priv­i­leg und Ökolo­gie
Trotz aller Unwäg­barkeit­en ist die Möglichkeit der reisenden Remote-Arbeit meist ein exk­lu­sives Priv­i­leg für Men­schen aus den reichen Indus­trielän­dern. Ein Afghane oder eine Syrerin ohne Visum, die an der türkisch-griechis­chen Gren­ze block­iert sind, kön­nen davon höch­stens träu­men. Solch­es Bewusst­sein wurde an der Tagung – die wiederum von syn­di­com unter­stützt wurde – eben­so man­i­fest wie die Sorge um das Kli­ma. Flugscham ist kein Fremd­wort mehr und um die Dis­tanzen zwis­chen Kon­ti­nen­ten zu über­brück­en sind Kreuz­fahrtschiffe auch nicht mehr erste Wahl. Pos­i­tiv in die Waagschale des ökol­o­gis­chen Fuss­ab­drucks gewor­fen wurde die Tat­sache, dass bei Remote-Arbeit zumeist Pendler­fahrten weg­fall­en.

Selb­ständi­ge Erwerb­s­for­men nehmen zu
Die meis­ten Teil­nehmerin­nen und Teil­nehmer der Kon­ferenz sind selb­ständig, haben ihre eige­nen Klei­n­un­ternehmen gegrün­det oder ste­hen nur noch teilzeitlich oder tem­porär unter einem Arbeitsver­trag. Diese Entwick­lung wird befeuert von der all­ge­meinen Ten­denz weg von den Indus­triear­beit­splätzen hin zur Dien­stleis­tungs­ge­sellschaft. Und ver­stärkt wird sie noch dadurch, dass es im Bere­ich der gut bezahlten Arbeitsstellen einen markan­ten Abbau von Per­so­n­en über 55 gibt. Diese Kader­leute melden sich dann unter­durch­schnit­tlich oft bei den Arbeit­sämtern, wagen aber ver­mehrt den direk­ten Weg in die Selb­ständigkeit, indem sie beispiel­sweise Beratungs­man­date übernehmen. Das stellt die Gew­erkschaften vor eine Grund­satzfrage, die umstrit­ten und bish­er nicht ein­deutig beant­wortet wor­den ist: Betra­cht­en wir die Selb­ständi­gen oder Freis­chaf­fend­en als Arbei­t­erin­nen oder als Unternehmer? Konzen­tri­eren wir uns auf den schrumpfend­en Markt der Fes­tangestell­ten oder erschliessen wir neue Felder? Und falls wir neue Felder erschliessen, welche Instru­mente müssen wir dafür entwick­eln, um als Gew­erkschaft über­lebens­fähig zu bleiben? Die Gew­erkschaften wer­den nur eine Zukun­ft haben, wenn sie sich den Real­itäten der neuen prekären Ver­hält­nisse, der Freis­chaf­fend­en, der Ich-AGs und dem dig­i­tal­en Struk­tur­wan­del stellen und auf die daraus resul­tieren­den Fra­gen auch gew­erkschaftliche Antworten find­en.