Business meets Lonely Planet

Ein­drücke vom ersten Kongress der Dig­i­tal­en Nomaden Schweiz (1.11.2018 in Bern)

Eng ist es an jen­em Don­ner­sta­gnach­mit­tag im Impact Hub Bern, einem Cowork­ing Space mit­ten in der Bern­er Alt­stadt. Run­dum ertönt jenes Kaud­er­welsch aus Umgangssprache und busi­ness-englis­chen Fach­be­grif­f­en, welch­es die heutige Geschäftswelt dominiert. Das Pub­likum beste­ht aus Erwach­se­nen jeden Alters mit ein­er Dom­i­nanz der rund Dreis­sigjähri­gen, wohl ein Drit­tel Frauen und zwei Drit­tel Män­ner. Die Stim­mung ist aufgekratzt. Es dominiert jene etwas aufgek­lebt wirk­ende per­ma­nente «Gut-drauf-sein»-Attitüde, ohne die man heutzu­tage im Beruf­sleben keinen Stich zu haben scheint. Gries­grame kön­nen keine fähi­gen Beruf­sleute sein. Und so, wie man sich hier von der Schoko­laden­seite zeigt, wird vor­erst auch das Phänomen des dig­i­tal­en Nomaden­tums, das man hier ver­han­deln will, beschönigt: Glück­liche jugendliche Men­schen sitzen wahlweise im Urwald, auf ein­er Sand­düne während eines Son­nenun­ter­gangs oder auf einem Segel­boot und schmacht­en ver­liebt in einen Lap­top-Screen. Solche Bilder sind natür­lich Blödsinn. Im Urwald hat man sel­ten eine Net­zverbindung, Sand ist sub­op­ti­mal, wenn er in Tas­tatur und Anschluss­buch­sen dringt und wer schon mal im mediter­ra­nen Son­nen­schein sein Tablet aufges­tartet hat, weiss, dass dann das Dis­play auch bei hell­ster Ein­stel­lung ein nur müh­sam zu entz­if­fer­n­des Bild anzuzeigen in der Lage ist.

Aber diese Bilder visu­al­isieren eine Weit­er­en­twick­lung der dezen­tralen Arbeits­form, die durch Com­put­er­ar­beit­splätze und die Onlinewelt grund­sät­zlich möglich gewor­den ist. Wenn Men­schen im Home-Office flex­i­bel für eine Arbeit­ge­berin arbeit­en und lediglich für Meet­ings in der Fir­ma aufkreuzen müssen, kön­nen sie grund­sät­zlich ihre Auf­gaben über­all auf der Welt erledi­gen und Meet­ings sind heutzu­tage schliesslich auch via Videokon­feren­zen möglich.

Die Welt ken­nen­ler­nen und gle­ichzeit­ig Geld ver­di­enen

Die Vorteile des dig­i­tal­en Nomaden­tums liegen auf der Hand. Man kann Geld ver­di­enen und gle­ichzeit­ig die Welt ken­nen­ler­nen. Und man kann die eigentliche Arbeit­szeit mas­siv reduzieren, wenn man indus­triege­sellschaftliche Stun­de­nan­sätze ver­rech­nen, gle­ichzeit­ig aber von den Leben­shal­tungskosten von Schwellen- und Tieflohn­län­dern prof­i­tieren kann. Die meis­ten dig­i­tal­en Nomaden arbeit­en pro­jek­to­ri­en­tiert, sind also Free­lancer oder schliessen befris­tete Arbeitsverträge ab. Inter­es­sant wäre auch, wenn man mit Men­schen ander­er Kul­turen zusam­me­nar­beit­en und je nach­dem mithelfen kön­nte, deren Leben­squal­ität zu verbessern. Das heisst, sofern man dies auch tun und nicht nur mit anderen Europäern und Amerikan­ern in Cowork­ing-Spaces und ein­schlägi­gen Lounges abhän­gen würde. An der Tagung gab es Beispiele in bei­de Rich­tun­gen.

Diese erste Kon­ferenz der Dig­i­tal­en Nomaden Schweiz gab vor­erst mal einen groben Hin­weis, welche Berufs­felder noma­disierend ver­fol­gt wer­den kön­nen: Blog­ging, Coach ser­vices, Event orga­ni­za­tion, Graph­ic design, Influ­enc­ing, Mul­ti­me­dia, Pro­gram­ming, etc. Und sie gab prak­tis­che Tipps: Z.B. nicht zu oft den Wirkung­sort zu wech­seln, da man sich an einem neuen Ort erst ori­en­tieren müsse und deshalb vor­erst gar nicht zum Arbeit­en komme. Oder es wurde mit den Sand­dü­nen- und Son­nenun­ter­gangs­bildern aufgeräumt mit dem Rat, die Arbeit und das Erleben der exo­tis­chen Umge­bung strik­te zu tren­nen, denn für die Arbeit brauche es vor allem Ruhe und Konzen­tra­tion. Und frisch ab Stu­di­en- oder Lehrab­schluss sollte man das Reise­leben auch nicht gle­ich begin­nen, denn etwas Beruf­ser­fahrung und einen gewis­sen Kun­den­stamm braucht es für einen erfol­gre­ichen Start schon.

Ob es ein Vor- oder Nachteil ist, dass man Besitztümer auf ein Min­i­mum reduzieren muss, um für das Wan­der­leben flex­i­bel genug zu sein, muss jede und jed­er je nach Nei­gung beant­worten. Die an der Kon­ferenz auftre­tenden Ref­er­entin­nen und Ref­er­enten (als Speak­ers beze­ich­net) sprachen von einem kleinen Ruck­sack für das Büro (Lap­top, Zube­hör und weit­eres Arbeits­ma­te­r­i­al) sowie je nach­dem einem Ruck­sack bis zu mehreren Kof­fern für Klei­der und per­sön­liche Dinge.

Neue Her­aus­forderun­gen für Ver­bände und Gew­erkschaften

Etwas völ­lig Neues ist das noma­disierende Arbeit­en ja auch wieder nicht. Bei auswär­ti­gen Dien­sten, in der Entwick­lungszusam­me­nar­beit und bei Aus­land­sko­r­re­spon­dentin­nen und ‑kor­re­spon­den­ten von Medi­en ist es durch die Berufs­form gegeben. Irgend­wie erin­nert die Ide­olo­gie der dig­i­tal­en Nomaden an die Zim­mer­leute-Gesellen auf der Walz. Ein­fach ohne Hut und schwarze Schlagho­sen. Neu sind durch die Dig­i­tal­isierung Möglichkeit­en gewor­den, selb­ständig oder für ver­schiedene Arbeit­ge­ber tätig zu sein. Und so stellen sich dann Fra­gen nach der Bere­itschaft von Per­son­alver­ant­wortlichen, auf solche Arbeits­for­men einzuge­hen. Oder Fra­gen zu Sozial- und weit­eren Ver­sicherun­gen. Die AHV ken­nt für Ver­sicherte den Sta­tus «Wel­tenbumm­ler», aber wird dieser Sta­tus den Gegeben­heit­en gerecht? Ewige Glo­be­trot­ter dürften wohl die wenig­sten Dig­i­tal­en Nomaden bleiben. Ein unstetes Leben ist ver­mut­lich für die meis­ten auf die Dauer wenig vere­in­bar mit ern­sthaften Beziehun­gen und Bindun­gen. Spätestens, wenn man eine Fam­i­lie grün­den und Kinder haben will, wird es schwierig, ins­beson­dere wenn der Nach­wuchs eingeschult wer­den sollte. Doch sobald man sich irgend­wo wieder dauer­haft nieder­lassen will wer­den bes­timmt neue Prob­leme auf­tauchen, die gelöst sein müssen.

Syn­di­com hat die erste Kon­ferenz der Dig­i­tal­en Nomaden Schweiz vor­erst mal mit einem spendierten «Apéro riche» unter­stützt. Nun muss sie sich fra­gen: Welche Ange­bote kön­nen wir als Gew­erkschaft beispiel­sweise Dig­i­tal­en Nomaden zusät­zlich zur Ver­fü­gung stellen? Heute bieten wir neben Beratung und Net­zw­erkan­lässe für Freis­chaf­fende noch eine Pen­sion­skasse und in Zusam­me­nar­beit mit einem Part­ner eine Kranken­taggeld­ver­sicherung an. Doch welche arbeit­srechtlichen Verbesserun­gen für selb­ständig Erwer­bende kön­nen wir entwick­eln? Wollen und kön­nen wir das über­haupt? Denn die meist selb­ständig erwer­ben­den Dig­i­tal Work­ers sind ja eben nicht Arbeit­nehmende im altherge­bracht­en Sinn; wer­den gar teil­weise als Klei­n­un­ternehmende wahrgenom­men. Und sie bewe­gen sich auf einem inter­na­tionalen Markt. Noch konzen­tri­eren sich viele Gew­erkschafter auss­chliesslich auf das Aushan­deln von Gesam­tar­beitsverträ­gen und beze­ich­nen dies als ihr Kerngeschäft. Doch müssten auch sie zur Ken­nt­nis nehmen, dass sich die Blue-Col­lar-Arbeitswelt auflöst und je länger je weniger als Iden­titätsmod­ell taugt. Prekäre Arbeitsver­hält­nisse betr­e­f­fen aber näm­lich auch Men­schen im Cowork­ing-Space. Die Gew­erkschaften müssen deshalb ihre Kern­prinzip­i­en von Sol­i­dar­ität und Inter­na­tion­al­ität drin­gend auf die neuen Gegeben­heit­en auf­datieren, müssen ins­beson­dere dem gewach­se­nen Bedürf­nis ihrer Mit­glieder nach Indi­vid­u­al­ität Rech­nung tra­gen, son­st wer­den sie unweiger­lich selb­st zu Aus­lauf­mod­ellen.

 

Christof Berg­er, 21. 11. 2018